Es erstaunt mich immer wieder, wie verletzend Menschen miteinander umgehen können, die behaupten, sich etwas zu bedeuten. Obwohl die meisten betonen, wie wichtig ihnen Beziehungen, Familien oder Partnerschaften sind, sind diese oft von unzähligen Kränkungen, Demütigungen und Dramen durchzogen. Manchmal denke ich, in einem Erwachsenenleben scheint es vor allem darum zu gehen, wie man lernt, mit den vielen kleinen und großen Verletzungen umzugehen, die viele einander zufügen.
Ich frage mich, wie wichtig uns gesunde Beziehungen, Familien und Partnerschaften tatsächlich sind, das Verhalten vieler lässt schließlich oft vollkommen andere Schlüsse zu. Warum die meisten gerade in den Bereichen des Lebens, die uns am kostbarsten erscheinen, so achtlos miteinander umgehen?
Ich bin da ein sehr gutes Beispiel. So sehr ich mir und anderen versicherte, wie sehr ich mich nach einer liebevollen Beziehung sehnte, behandelte ich meine Exfreundinnen nicht so, wie man eine Person behandeln sollte, mit der man sich eine gemeinsame Zukunft wünscht. Genauso wie ich mit den Frauen umging, gingen sie allerdings auch mit mir um. Es war gewissermaßen eine Teamleistung.
Der Blick auf meine Defizite
Inzwischen kenne ich mich mit meinen Defiziten ziemlich gut aus. Ich habe recherchiert, unzählige Bücher durchgearbeitet, Artikel studiert und mit Psychologen gesprochen. Ich fand heraus, dass meine Beziehungsprobleme vor allem mit meinen Verlustängsten zusammenhingen, meiner damit verbundenen Bindungsangst und meiner Neigung zu narzisstischen Zügen. Diese Kombination hatte sich aus den Verletzungen gebildet, die sich über die Jahre in meinen Beziehungen zu anderen gesammelt haben. Alles Mittel meiner Psyche, um mich vor erneuter Verletzung zu schützen. Darum wogen die schlechten Erfahrungen schwerer als die guten, vor Glück musste ich ja nicht beschützt werden.
Jede Erfahrung hatte Spuren hinterlassen, und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Zusammengenommen liefen all diese Einsichten in einer universellen Gewissheit zusammen: Offensichtlich ist diese Person nicht fähig, eine gesunde Beziehung zu führen, die Bestand hat.
Im Internet habe ich mich über das Geheimnis langjähriger glücklicher Partnerschaften informiert. Ich fand heraus, dass sich ihre Grundpfeiler aus Wertschätzung, Toleranz, Loyalität und Vertrauen bilden, sowie gemeinsamen Humor und Sex. Wenn ich mir allerdings die meisten langjährigen Beziehungen in meinem Umfeld so ansehe, scheint ihr Fundament nicht unbedingt aus diesen Zutaten gegossen worden zu sein.
Beispielsweise die Beziehung von Jasmin und Christian. Ich kenne die beiden aus meinen Kölner Jahren. Seitdem halten wir losen Kontakt. Im Sommer habe ich sie über ein verlängertes Wochenende besucht. Die beiden sind seit 21 Jahren zusammen. Ein Umstand, der darauf schließen lässt, ihnen wäre das Geheimnis bekannt, einer Beziehung langen Bestand zu geben. Der Preis, den sie diese Beständigkeit kostet, widerspricht meiner Idee einer Partnerschaft allerdings vollkommen.
Jasmin bespricht gern mit anderen, was sie an ihrem Freund stört. Das ist nicht ungewöhnlich. Ich meine, jeder macht das. Mir halfen Gespräche mit Freunden ja auch, meinen Anteil an den Konflikten mit meinen Exfreundinnen klarer zu sehen. Jasmins Beweggründe liegen allerdings woanders. Sie bespricht ihre Beziehungsprobleme öffentlich – allerdings in Anwesenheit von Christian. Während er hilflos neben ihr sitzt, zählt sie seine Makel auf, als wäre er nicht dabei. Sie führt ihn vor. Das ist ziemlich unangenehm.
Am ersten Abend meines Besuchs trafen wir uns mit zwei weiteren befreundeten Paaren im Belgischen Viertel. Vor dem „Hallmackenreuther“ nahm mich der Mann des einen befreundeten Paares zur Seite.
„Was haben die denn für eine Beziehungsdynamik?“, flüsterte er fassungslos. „Das ist ja total toxisch.“
Der Mann ist Psychologe. Er kann es beurteilen. Es war der erste professionelle Blick, der auf ihre Beziehung geworfen wurde. Und so wie es aussieht, hätte sie noch weitere nötig.
Aushalten, ertragen, weitermachen
Manchmal denke ich, Jasmin und Christian haben sich an die Zweisamkeit gewöhnt, wie ich mich als Single ans Alleinsein gewöhnt habe. Sie kennen sich in dem Entwurf aus. Auch wenn beide unter dem anderen leiden, würden sie diese Sicherheit nicht aufgeben. Sie haben sich mit den vielen kleinen alltäglichen Machtkämpfen abgefunden. Sie sind zu einer Gewohnheit geworden. Wahrscheinlich nehmen die beiden sogar an, das gehöre zu einer Beziehung. Dass man es aushalten muss. Offensichtlich wissen sie, wie man eine langjährige Partnerschaft organisiert, haben aber keine Ahnung davon, wie man diese pflegt und gesund erhält.
Aushalten, ertragen und weitermachen, dachte ich hilflos, als ich auf der Heimfahrt im ICE saß. Das durfte einfach nicht das Geheimnis einer langen Beziehung sein.
Ein Paartherapeut hat mir mal gesagt, dass es nie um das Thema eines Konflikts geht, es geht immer nur darum, wie man sich in diesem Konflikt begegnet. Obwohl Jasmin und Christian 21 Jahre Zeit hatten, haben sie offensichtlich nicht gelernt, auf gesunde Art miteinander zu kommunizieren, oder sich in einem Konflikt konstruktiv zu begegnen. Ihre unaufgelösten Konflikte liegen unter ihrer Beziehung. Mit jedem neuen Disput arbeitetet sich Jasmin an den Symptomen ab, ohne die Ursache für den Zustand ihrer Beziehung zu berühren.
Viele Paare haben eine Paartherapie nötig
Es gibt einen Punkt, der auf den Listen für eine glückliche Partnerschaft immer auftaucht. Man solle sich einen Tag monatlich festlegen, an dem man miteinander bespricht, was einen am anderen stört. Ohne es in einen Streit münden zu lassen. Ich glaube, dass es sehr schwer sein kann, solche Gespräche objektiv zu führen, ohne dass die Emotionen hochkochen. Ihnen würde ein professioneller Blick helfen. Eine Art Moderator, der sich mit Psychologie auskennt, jemand, der die richtigen Fragen stellt, Missverständnisse freilegt und einordnet, der Bedürfnisse benennt, die einem selbst oft gar nicht klar sind. Ein seriöser Coach, um den Blick für die alltäglichen Nachlässigkeiten und Versäumnisse zu schärfen, die Paare im Umgang miteinander oft gar nicht sehen.
Ich glaube, viele Paare haben eine Paartherapie nötig, obwohl sie sich das nie eingestehen würden. Bedarf an einer Paartherapie besteht ja nicht nur, wenn man in einer Krise ist. Eine Paartherapie wäre doch viel sinnvoller, wenn sie schon den Anfängen entgegenwirkt – damit ein Paar gar nicht erst in eine Krise gerät.
Trotz meiner unaufgearbeiteten Konflikte bin ich immer wieder neue Beziehungen eingegangen, und war jedes Mal aufs Neue überrascht, dass diese scheiterten. Auch wenn es brutal klingt: Rückblickend kann ich sagen, dass ich durch die unaufgearbeiteten Konflikte mit mir selbst eine Zumutung für meine Exfreundinnen war. Genauso wie sie auch eine Zumutung für mich waren.
Damit sind wir allerdings keine Einzelfälle. Dieses Prinzip trifft auf die meisten zu. Sie stecken in den Verletzungen ihrer Vergangenheit fest. Denen ihrer Kindheit, ihrer vorherigen Beziehungen und jeder Trennung, ob sie am Ende einer mehrjährigen Partnerschaft standen, oder einer zweimonatigen Liebschaft. Und genauso wie ich haben die wenigsten diese Verletzungen aufgearbeitet.
Die Kunst, ein reiches und erfülltes Leben zu führen
Die Folgen dieser Verletzungen beginnen oft unbemerkt. Sie wachsen über die Jahre, bis sie die Beziehung bestimmen, und irgendwann zu ihrem Wesen geworden sind. Solche Paare machen weiter, sie widmen sich ihren Gewohnheiten, arbeiten sich durch die Erledigungen des Alltags, haben kaum noch Sex. Sie gehen nicht mehr wertschätzend miteinander um, streiten sich oder schweigen über die Konflikte hinweg. Aber sie bleiben zusammen und nennen dieses Weitermachen Liebe. Solche Paare erleben ihre Beziehung nicht mehr. Sie führen sie, wie man jeden Sonntagabend Tatort guckt. Man beschwert sich über die nachlassende Qualität, aber es ist ein fester Platz im Alltag. Etwas Sicheres, man kann sich darauf verlassen, dass er am Sonntagabend gesendet wird. Und irgendwann sitzt man sich in einem Restaurant gegenüber, schweigt sich an und fragt sich, warum man zu einem dieser Paare geworden ist, zu dem man nie werden wollte.
So darf es nicht enden, dachte ich. Niemals.
Ich bin mir meiner Defizite bewusst. Ich weiß, dass ich mich in meiner nächsten Beziehung professionell beraten lassen werde, sobald ich Symptome meiner Bindungsangst spüre. Sobald ich mich eingeengt fühle, sobald ich beginne, nach Fehlern zu suchen, sobald ich die Beziehung anhand von Details infrage stelle. Ich kann lernen, gesunde Beziehungen zu führen. Indem ich lerne, anderen zuzuhören – also wirklich zuzuhören – indem ich lerne, nicht nur mich selbst zu sehen.
Es ist eine Fortbildung, die meinem gesamten Leben eine neue Qualität geben wird, denn sie ist auf alle Formen menschlichen Miteinanders anwendbar. Auf Beziehungen, Familien oder Partnerschaften.
Es hat sich erwiesen, dass dem Menschen nur eine hohe Qualität sozialer Verbindungen das Gefühl gibt, ein reiches und erfülltes Leben zu führen. Aus ihnen bildet sich dieses Gefühl, nach dem auch ich mich so sehr sehne. Daraus entsteht Glück. Und zwar nachhaltiges Glück.