Anfang des Jahres habe ich in einer Gesprächsrunde verständnisloses Schweigen ausgelöst. Wir saßen auf der Terrasse eines Freundes. Es war gerade Frühling geworden und ein besonderer Nachmittag, denn er war das Ende eines gefühlt sehr langen Prozesses. Der Prozess hatte begonnen, als unser Gastgeber Wochen zuvor zum ersten Mal laut darüber nachgedacht hatte, sich einen Grill der Marke Weber zu kaufen. Nach langen abwägenden und mitunter auch sehr emotionalen Diskussionen endete dieser mit der Entscheidung für den GENESIS II E-310. Eine Modellbezeichnung, die in meinen Ohren so martialisch klingt wie die Typenbezeichnung eines Maschinengewehrs. Den Preis hätte ich auch eher von einer großkalibrigen Waffe erwartet. Der Grill kostete 1.129 Euro.
Wenn ein Gebrauchsgegenstand zum ersten Mal benutzt wird, der so viel Geld gekostet hat, muss es schon in einem festlichen Rahmen geschehen. Als wir uns um das Gerät versammelt hatten, um es zu begutachten, fiel mein Blick auf das noch verpackte Fleisch auf einem Tisch neben dem Grill. Es war sehr viel Fleisch. Nachdem ich meinen Blick bereits von dem Tisch abgewandt hatte, musste ich mit dem Gefühl, dass hier gerade irgendetwas nicht passte, noch einmal hinsehen. Ich benötigte einige Sekunden, bevor ich wusste, was es war. Es war der rot markierte Preis, der sich auf den Etiketten befand.
„Ist ja ungewöhnlich billig“, sagte ich überrascht. „Wo hast du denn das Fleisch geholt?“
„Bei Lidl“, sagte unser Gastgeber. „War im Angebot.“ Als ich ihn schweigend ansah, fügte er entschlossen hinzu: „Lidl muss nicht schlecht sein.“
„Natürlich nicht“, sagte ich und dann dachte ich, was ich immer denke, wenn ich nicht verstehe, dass Fleisch so billig verkauft wird. Ich dachte: Was ist ein Leben wert? Das war eine gute Frage und ich überlegte sogar kurz, sie in das Gespräch einzubringen, ließ es dann aber, und entschied mich für die diplomatische Variante. „Schon krass, dass Tomaten inzwischen billiger als Fleisch sind“, sagte ich.
„Ich ess ja eigentlich kaum noch Fleisch“, sagte unser Gastgeber, während sein Blick auf dem Fleischberg ruhte. Er war sich der unfreiwilligen Komik der Situation offensichtlich nicht bewusst.
„Klar“, entgegnete ich. „Aber wie erklärt sich denn so ein Preis?“
Als sich die Köpfe meiner Freunde zu mir drehten, passierte es. Ich sagte den Satz, auf den eine sekundenlange atemlose Stille folgte. Ich sagte: „Wenn ich wüsste, dass das Tier artgerecht gehalten wird, würde ich auch 200 Euro für ein Steak ausgeben.“
Den hatten sie nicht kommen sehen. Niemand sagte etwas, es war ein Konzept, dem sie vollkommen verständnislos gegenüberstanden. Ich muss gestehen, dass ich ihre Blicke genoss.
Einige Tage darauf las ich, dass unser Gastgeber kein Einzelfall ist. Es ist gerade ein Trend, sich Grills zum Preis eines Kleinwagens zu kaufen, während das Fleisch, das auf den Geräten zubereitet wird, immer billiger wird. Es ist schon grotesk und niemandem scheint aufzufallen, dass da offensichtlich irgendetwas nicht stimmt. Ich habe die Vermutung, dass das daran liegt, dass es niemandem auffallen möchte. Es ist die Haltung von Menschen, die so selbstsüchtig mit ihren Privatangelegenheiten beschäftigt sind, dass sie allem, was über ihren persönlichen Bereich hinausgeht, keine Beachtung schenken.
Ich finde es ja immer wieder bemerkenswert, wie sehr sich das eigene Selbstbild von dem Menschen unterscheidet, der man wirklich ist. Wie weit Überzeugungen und Handlungen auseinanderliegen. Wir sind sehr selten der Mensch, für den wir uns halten. Die toleranten, aufgeklärten Deutschen versichern sich beispielsweise in regelmäßigen Abständen gegenseitig, wie sehr ihnen das Wohl der Tiere am Herzen liegt, deren Fleisch auf ihrem Teller liegt. Bei einer Umfrage des Bundeslandwirtschaftsministeriums gaben beinahe die Hälfte der Befragten an, sie würden einen höheren Preis für Lebensmittel bezahlen, wenn dadurch den Schlachttieren bessere Haltungsbedingungen gesichert würden. Wenn man sich jedoch die Verkaufszahlen der Discounter ansieht, sieht das – um es mal ganz vorsichtig zu formulieren – vollkommen anders aus.
Bei Fleisch werden vor allem Sparangebote gekauft. Gekauft wird, was billig ist. Sich um die Haltungsbedingungen der Tiere zu sorgen, ist ein sozial erwünschtes Verhalten. Man pflegt sein Image als bewusst lebender Mensch, auch vor sich selbst, allerdings ohne danach zu handeln. Man ist ja bereit, etwas zu tun – außer es wird teuer. Eine Grenze, die offensichtlich schnell erreicht ist. Es ist eine seltsame Doppelmoral, mit der viele durchs Leben gehen. Die Deutschen sind dabei offensichtlich in ihrer Discounter-Mentalität gefangen. Es liegt gewissermaßen in unserer DNA. Wir kaufen gern billig, obwohl wir in einer der reichsten Nationen der Welt leben.
„Superbillig“
Jeden Freitag liegt in meinem Briefkasten ein großformatiger Umschlag aus durchsichtiger Plastikfolie, in dem sich die Prospekte verschiedener Discounterketten befinden. Wenn ich durch diese Kataloge blättere, bekomme ich den Eindruck, dass es offensichtlich Teams in den Marketingabteilungen gibt, in denen sich Leute ausschließlich damit beschäftigen, wie man den Begriff „billig“ neu und spannend erzählen kann. Es geht um Superlative wie: „Geiz ist geil“, „Spar dich reich“, „Tiefpreiswochen“, „Sparwochen“ oder „Allet super, allet billig.“ Der Mechanismus ist einfach: Die Billigangebote kultivieren unsere Gier, die einen alle Konsequenzen ausblenden lässt.
Egal für wie aufgeklärt wir uns auch halten, wir verdrängen sehr oft die Frage, wie die billigen Preise der Ketten so zustande kommen. Wie wenig jemand am anderen Ende der Welt verdienen muss, damit Primark bei uns eine Jeans für 10 Euro anbieten kann.
Auch wenn ich die Produkte, die ich kaufe, nicht nach dem „Ist dit billig“-Prinzip bewerte, kann ich mich da nicht rausnehmen. Auch ich verdränge erfolgreich, wenn ich bestimmte Produkte kaufe. Ich besitze beispielsweise nicht wenige Produkte der Firma Apple, obwohl ich weiß, dass Teile der Wertschöpfungskette bei Apple ethisch nicht vertretbar sind. Zum Beispiel die Arbeitsbedingungen der chinesischen Arbeiter. Das Problem, das wir so gern ausblenden, ist ja, dass ihr Leid das Fundament der Vorzüge unserer Welt ist, dass unser Wohlstand und unser Luxus nur durch ihr Leiden möglich sind.
»Wenn wir nicht immer Ausreden finden würden, sobald wir unseren Lebensstil gefährdet sehen, können wir etwas bewirken.«
Unsere Macht ist die nicht zu unterschätzende Macht des Konsumenten. Uns ist doch klar, dass unser Konsumverhalten Auswirkungen hat, die über den Bereich unseres eigenen Lebens hinausgehen. Ich glaube daran, dass man eine Verantwortung hat, wenn man die Chance hat, in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren zu leben, vor allem wenn man bedenkt, worauf unser Wohlstand beruht. Es war nie einfacher als heute, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die Zusammenhänge zu erkennen. Durch das Internet sind die Informationen schließlich jederzeit zugänglich.
Unsere Freiheit ist die Freiheit des Konsums. Wenn wir klüger einkaufen, wenn wir nachdenken, bevor wir einkaufen, wenn wir gewisse Produkte nicht mehr kaufen, zwingen wir die Hersteller dazu umzudenken. Sie müssen sich anpassen, denn die Nachfrage bestimmt das Angebot. Es ist ein Prinzip, das branchenübergreifend anwendbar ist. Es schließt auch Energie- und Ölkonzerne ein. Auf die Politiker brauchen wir uns nicht verlassen, sie machen Politik für die Hersteller, und nicht für die Verbraucher. Also liegt es an uns. Jeder kann mit diesem Bewusstsein zu einer Veränderung beitragen, denn die Summe der einzelnen Konsumenten, macht als Masse den großen Unterschied.
Es ist unsere Macht und es ist unsere Verantwortung. Wir sollten beides wahrnehmen, wir sollten beides anwenden. Es ist unsere Chance, die Gegebenheiten zu ändern, im Kleinen und damit auch in der Welt. Es kommt auf jeden Einzelnen an, das sollte uns bewusst sein. Unsere Art zu konsumieren kann alles ändern.
Wenn wir nicht immer nur Ausreden finden würden, sobald wir unseren Lebensstil gefährdet sehen, können wir etwas bewirken. Wir können die Dinge verändern. Vielleicht sogar die Welt. Und das ist doch ein schöner Gedanke.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch: