Der Zehnpunkteplan zum Glücklichsein

Das Land wird seit Jahren von Coaches überschwemmt. Leider sind viele nicht gut. Nicht wenige sogar gefährlich. Wer Zehnpunktepläne zum Glücklichsein anbietet, ist unseriös. Woran man gute Coaches erkennt, und woran die, vor denen man sich hüten sollte.

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Vielleicht liegt es an mir, der Blase, die mich umgibt, und die ich für die Welt halte. Vielleicht an der Gegend, in der ich lebe, oder den Algorithmen, die mich besser kennen sollen als ich mich selbst. Vielleicht fließen all diese Aspekte zusammen. Ich habe den Eindruck, dass das Land seit einigen Jahren von Coaches überschwemmt wird.

Sie sind überall. Und es gibt sie für alle Bereiche: Mental-Health-Coaches, Life-Coaches, Flirt-, Fitness- und Selbstoptimierungs-Coaches. Für jeden Aspekt des Lebens gibt es das richtige Mindset.

„In einer Zeit, in der so viele von Mindsets reden, bevorzuge ich Gedanken“, hat der Filmkritiker Wolfgang M. Schmidt mal gesagt. Ich kann dem Mann nur zustimmen.

Ich muss es leider so sagen: Diese Leute machen mich fertig. Sie verstören mich. Und das hat verschiedene Ursachen. Die auffälligste ist ihre Fröhlichkeit. Ihre gute Laune scheint sich irgendwie verselbstständigt zu haben. Der totale Kontrollverlust. Sie erinnern mich an Frühstücksradio-Moderatoren, die auch immer fröhlich sein müssen.

Manchmal denke ich, wenn man Selbstoptimierung für Glück hält, sieht man an den Gesichtern von Coaches, wie dieses Glück aussieht. Künstliche Gefühle, die nur auf der Oberfläche bleiben.

Das Glück der Check24-Familie

Obwohl ich die Frau noch nicht kennengelernt habe, die mit mir eine Familie gründen will, stelle ich mir gelegentlich unser hypothetisches Familienleben vor. Die Vorstellungen erinnern an Werbespots. Wenn man an Werbespots denkt, in denen Familien eine tragende Rolle spielen, fällt ja vielen die Check24-Familie ein. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss ich betonen, dass ich nicht von dieser Familie rede. Die Heiterkeit der Check24-Familie wirkt auf mich vor allem verhaltensgestört.

In dem Film „Crazy Stupid Love“ fasst Ryan Gosling die Tragik seines Lebens mit zwei Sätzen zusammen: „Ich bin unglücklich und ich versuche mir Glück zu kaufen“, sagt er. „Aber es funktioniert nicht.“ Die Check24-Familie scheint über solche Einsichten hinaus zu sein. Sie sind die perfekten Konsumenten. Gutgelaunte Zombies. Sie leiden nicht, sie betäuben sich mit Konsum. Eine abstoßende Form von Glück, deren Fundament das Selbstverständnis ist, über den Kauf von Sonderangeboten so viel zu sparen, dass man noch viel mehr kaufen kann.

Diese Familie wirkt auf mich, als hätte sie sich einer dieser Mental-Coaches ausgedacht, die ja auch immer viel zu gut gelaunt sind. Manchmal denke ich: Vielleicht wird man ja wirklich so, wenn man ihre Coaching-Philosophien konsequent zu Ende denkt. Wenn man ihre Seminare gemacht hat, wenn man alle Mindsets verinnerlicht hat – dann wird man zur Check24-Familie.

Wenn Liebe zu „sozialem Mehrwert“ wird

Als ich einmal unglücklich verliebt war, habe ich mir viele Videos von Flirt-Coaches angesehen, um mit der Situation besser umgehen zu können. Ich hätte es nicht machen sollen. Jedes Video machte es mit den aufwändigen Regelkonstruktionen noch komplizierter. Es war sogar noch schlimmer, Frauen wurden zu einem Versuchsobjekt reduziert, das manipuliert wurde. Ich fragte mich, wie verzweifelt und bemitleidenswert jemand sein musste, der darauf zurückgriff, bevor mir auffiel, dass ich ja selbst seit Stunden diese Videos ansah. Auf der Suche nach Hoffnung.

Einer dieser Coaches, dessen Expertise daraus entstand, sich bereits mit tausenden Frauen gedatet zu haben, lief in seinen Videos über die Strände von Ibiza. Während er erklärte, wie das mit den Frauen so läuft, setzte er seine Sonnenbrille nie ab. Ich muss dazu sagen, dass ich mich ungern mit Leuten unterhalte, während sie eine Sonnenbrille tragen. Es irritiert mich, ich sehe Menschen in Gesprächen gern in die Augen. Dann sagte der Mann allerdings einen Satz, der mich noch mehr irritierte.

Er sagte: „Es gibt verschiedene Ebenen, über die man einer Frau seinen sozialen Mehrwert kommunizieren kann.“

„Wie bitte?“, dachte ich, „Sozialer Mehrwert?“

„Sozialer Mehrwert“ ist offen gestanden keine Formulierung, auf die ich mein Verhältnis zu der Frau, mit der ich mein Leben teile, reduzieren möchte. Es ist, als würde man den Begriff „Bedarfsgemeinschaft“ benutzen, wenn man Ehe meint. Es ist die juristische Entsprechung. Ich vermute, das ist kein Zufall, auch weil die juristische Sprache Gefühle ausschließt.

Was mache ich hier, dachte ich, und stoppte das YouTube-Video. Ich erwartete Hilfe in persönlichsten Bereichen, von Leuten, die ich wirklichen Leben meiden würde. Ich spüre einen inneren Widerstand, in die Hände von solchen Leuten zu legen, wie ich mein Leben führen soll. Von ihnen möchte ich mich einfach nicht beraten lassen. Aus irgendeinem Grund schwinden diese Gewissheiten, sobald ich mir YouTube-Filme ansehe. Offensichtlich muss ich mich nur immer mal wieder daran erinnern, welche Empfindungen sie auslösen, würden diese Leute direkt vor mir stehen.

Die gefährlichen Coaches

Der Philosoph Seneca schrieb vor 2.000 Jahren: „Um ein gutes Leben zu führen, braucht man einen Sachkundigen, der einen selbst und der die Beschaffenheit des Glücks kennt.“ Diese Worte sind aktueller denn je. Das liegt an dem Irrsinn, der uns umgibt, und unserer Orientierungslosigkeit. Aber vor allem liegt es daran, dass viele derjenigen, die sich für die Sachkundigen ausgeben, ganz andere Pläne haben.

Einmal schickte mir ein Freund den Link zu einem YouTube-Video, auf dem ein Mann zu sehen war, der Robert Betz heißt. Er stand auf einer Bühne und sprach zu Tausenden von Menschen, die ihm ergriffen zuhörten. Es hatte etwas Religiöses. Unerträglicher, mit esoterischen Anspielungen durchsetzter Kitsch. Es war so peinlich, dass ich nicht aufhören konnte, mir dieses schreckliche Video anzusehen.

Während Betz sprach, informierte ich mich im Internet über den Mann. Das machte es nicht unbedingt besser. Dort las ich, dass er der Auffassung ist, Krebs mit reiner Willenskraft heilen zu können. Wenn eine Frau, deren Brust amputiert wurde, ihren Körper nur genug liebt, kann sie diese wieder nachwachsen zu lassen. Kühne These, dachte ich. Solche Thesen genügen mir, einen solchen Menschen als unmittelbare Bedrohung wahrzunehmen, vor allem wenn tausende Menschen mit leuchtenden Augen an seinen Lippen hängen.

Mit jedem Kameraschnitt, der zeigte, wie ergriffen das Publikum im Saal zur Bühne blickte, wuchs in mir ein seltsames Gefühl. Sie schienen den glatzköpfigen Mann auf der Bühne zu lieben, der ihnen mit Kalendersprüchen die Welt erklärte. Wer liebt, kennt keine Zweifel mehr. Unvermittelt fiel mir ein, was Harald Schmidt mal in einem Interview gesagt hat. Er sagte: „Wenn es einem gelingt, die Menschen mitzunehmen, ist ihnen egal, wohin man sie führt.“ Das sind Sätze, die zu meinen Robert-Betz-Empfindungen passen.

Die seriösen Coaches

Man darf das jetzt nicht falsch verstehen. Sie sind nicht alle so.

Bisher war ich einmal bei einem Coach. Es war ein Führungskräfte-Coaching, das von der Werbeagentur bezahlt wurde, in der ich damals arbeitete. Es fand in einer wunderschönen Gründerzeitwohnung im Hamburger Stadtteil Eppendorf statt. Dieser Coach hat bis heute Spuren in meinem Leben hinterlassen. Er brachte mir nicht bei, wie man Mitarbeiter behandelt, er lehrte mich, wie Menschen generell miteinander umgehen sollten. Wie Konflikte angesprochen und gelöst werden, wie man miteinander spricht, ohne andere zu kränken und wie man zuhört – also wirklich zuhört. Er erklärte uns Prinzipien, die in allen menschlichen Beziehungen gelten sollten.

Ich glaube, dass jeder, der in unsere Gesellschaft hineingeboren wurde, ein seriöses Coaching braucht. Die meisten wissen gar nicht, wie die Beschaffenheit ihres Glücks eigentlich ist. Sie wissen nicht, wie sie ihre eigentlichen Bedürfnisse von den Bedürfnissen unterscheiden können, mit denen sie tagtäglich überschüttet werden. Sie wissen nicht, wie sie ihre Smartphones so benutzen, dass es keinem Suchtverhalten gleicht. Sie wissen nicht, dass die Psyche des Menschen für unsere gesellschaftliche Wirklichkeit nicht gemacht ist und wir diesen Schädigungen entgegenwirken können.

Genau wie sie, bräuchte auch ich jemanden wie diesen feinen, kultivierten Mann aus Hamburg Eppendorf. Gewissermaßen ein Pro, dem wir am Herzen liegen und der nicht nur ans Geldverdienen denkt.

Wir hätten ihn nötig.

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